Eine Schmetterlingsraupe, die Ameisenlarven frisst?! Das ist ungewöhnlich. Mit großem Appetit verspeist die Raupe des Thymian-Ameisenbläulings die Ameisenbrut, nachdem die Ameise das Bläulingsräupchen in ihren Bau aufgenommen, beschützt und umsorgt hat. Im Haus der Pflegeeltern wandelt sich der „süße Wurm“ vom Vegetarier zum Räuber. Der Thymian-Ameisenbläuling ist unsere Art des Monats Dezember.
Der Lebenszyklus der Ameisenbläulinge (Phengaris arion) beginnt unspektakulär. Das Bläulingsweibchen hat seine Eier zwischen den Blüten von Arznei-Thymian (Thymus pulegioides) oder Gewöhnlichem Dost (Origanum vulgare) platziert. Die winzigen Raupen schlüpfen dort aus ihren Eihüllen und ernähren sich anfangs von den sie umgebenden Blüten. Nach etwa zwei Wochen verlassen sie ihr Kinderbett und werden am Erdboden – wenn sie Glück haben – von Ameisen der Art Myrmica sabuleti gefunden. Überraschenderweise betrachten die sie aber nicht als Mahlzeit, sondern tragen sie in ihren Bau. Der Grund: Die winzige Raupe verfügt über den Geruch der Ameise und wird wegen dieses falschen Ausweises wie ein hilfloses Findelkind adoptiert. Bei anderen Ameisen-Arten würde der Betrug auffliegen und die Raupe würde gefressen.
Der Thymian-Ameisenbläuling ernährt sich von Arznei-Thymian oder Gewöhnlichem Dost.
Foto: Dr. Steffen Caspari
Im Haus der Pflegeeltern wandelt sich der „süße Wurm“ vom Vegetarier zum Räuber. Die Bläulingsraupe beginnt, den Nachwuchs der Wirtsameise aufzufressen und lebt zehn Monate lang in Saus und Braus. Vermutlich bemerken die Ameisen die Verluste nicht einmal, zumal die Kolonie laufend für neue Brut sorgt. Im Frühsommer des Folgejahres verpuppt sich die Raupe dicht unter einem der Ausgänge des Ameisennestes. Wenn sie vier Wochen später schlüpft, hat sie es plötzlich sehr eilig hinauszukommen. Lässt sie sich zu viel Zeit, machen die Ameisen kurzen Prozess mit ihr.
Nur wenige Tage bis Wochen sind die Bläulinge dann als fertige Schmetterlinge unterwegs, und in dieser Zeit dreht sich wieder alles um ihre Lieblingspflanzen Thymian und Dost. Hier saugen sie Nektar, treffen ihresgleichen, paaren sich und gründen eine neue Generation von „Falter Jekyll und Raupe Hyde“.
Wo der Thymian-Ameisenbläuling noch vorkommt, kann man ihn zwischen Ende Juni und Mitte August beobachten, Hauptflugzeit ist der Juli. Seine Lebensräume sind schütter bewachsene Kalkmagerrasen oder warme lückige Flügelginsterweiden. In Deutschland ist der Falter laut der aktuellen Roten Liste „Stark gefährdet“.
Der Thymian-Ameisenbläuling lebt auf Magerrasen sofern dort seine Nahrungspflanzen sowie die passende Ameisenart vorkommen.
Foto: Dr. Steffen Caspari
Ursachen der Rückgänge sind die Mahd in der Flugzeit, Stickstoffeinträge oder zu intensive Beweidung der Magerrasen. Auch das Verdorren der Eiablage- und Nektarpflanzen in sommerlichen Trockenperioden verringert den Fortpflanzungserfolg. Daneben ist das Aufgeben der Nutzung von Magerrasen ein großes Problem: Unter dem immer dichter werdenden Gräseraufwuchs bleibt der Boden zu kühl, so dass die wärmeliebenden Ameisen abwandern. Damit fehlen den Bläulingsräupchen die potenziellen Adoptiveltern. Stabile Vorkommen des Falters existieren nur noch in Thüringen, im Saarland, im Saar-Nahe-Bergland (Rheinland-Pfalz), auf der Schwäbischen Alb (Baden-Württemberg) und in den Bayerischen Alpen.
(Artikel veröffentlicht am 11.12.2025)
Musche, M.; Albrecht, M.; Becker, J.; Bittermann, J.; Blanckenhagen, B. von; Böck, O.; Caspari, A.; Caspari, S.; Dolek, M.; Harpke, A.; Hermann, G.; Joger, H.G.; Kolligs, D.; Lange, A.; Müller, D.; Nunner, A.; Pollrich, S.; Reinelt, T.; Rennwald, E.; Schmitz, O.; Schönborn, C.; Schulze, W.; Schurian, K.; Strätling, R.; Wachlin, V. & Wiemers, M. (2025): Rote Liste und Gesamtartenliste der Tagfalter und Widderchen (Lepidoptera: Papilionoidea et Zygaenidae) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (11): 94 S.
Die Rote-Liste-Daten sowie die elektronische Publikation sind auch als kostenfreier Download verfügbar.