„Fast wäre nichts daraus geworden. Schwere Wackersteine im Rucksack durch den Wald tragen, nur wegen einer kleinen unscheinbaren Flechte? Nein danke, dazu hatte ich keine Lust. Die lässt sich sowieso nicht bestimmen, dachte ich. Hätte sich nicht mein Mann angeboten, die Steine zu tragen und mich überredet, die Flechte im Labor der Universität in Koblenz zu untersuchen, wäre diese kleine Sensation wohl nie passiert…“ schildert Dr. Dorothee Killmann die Entdeckung einer neuen Art.
Die Hunsrück-Warzenflechte ist unsere Art des Monats November.
Dr. Dorothee Killmann und ihr Mann Burkhard Leh mit der neu entdeckten Flechte.
Foto: Konrad Funk
„Im Jahr 2015 hatte ich die Möglichkeit, im Rahmen eines Monitoring-Programms für die Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz (FAWF) Flechtenuntersuchungen in drei Naturwaldreservaten im Nationalpark Hunsrück-Hochwald durchzuführen. Am Erbeskopf fielen uns die dunklen Flecken auf dem hellen Gesteinsblockschutt auf. Es war eine Flechte, das war klar. Aber welche? Vielleicht eine Warzenflechte der Gattung Verrucaria? Die sind sehr schwer zu bestimmen, dachte ich. Und hier gibt es so viele andere Flechtenarten, die interessanter sind – da lassen wir die schweren Wackersteine lieber im Wald. Kommt nicht in Frage, sagte mein Mann zu mir. Ich trage die Steine auch, und du versuchst die Art im Labor in Koblenz genau zu bestimmen. Gesagt – getan. So nahm die Geschichte ihren Lauf.
Ich sitze stundenlang im Labor der Universität in Koblenz. Immer wieder schneide ich durch die zarten Fruchtkörper, vermesse die Sporen und vergleiche den Anblick im Mikroskop mit den Beschreibungen in den Bestimmungsbüchern. Aber immer stimmt etwas nicht, ich komme zu keinem Ergebnis. Prof. Dr. Eberhard Fischer, der Leiter unserer Arbeitsgruppe, versucht zu helfen – leider auch ohne Erfolg. Dann bleibt es eben bei „Verrucaria spec.“ – eine unbekannte Warzenflechte. Frustriert legen wir die Steine in den Herbarschrank. Es vergehen Monate und Jahre.
Verrucaria hunsrueckensis besitzt einen fast schwarzen, krustenförmigen Thallus sowie besonders schlanke Ascosporen.
Foto: Dr. Dorothee Killmann
Die unbestimmte Verrucaria-Art lässt uns jedoch nicht los. Plötzlich hat Eberhard Fischer eine zündende Idee: Wir schicken die Steine zu Dr. Holger Thüs, dem Spezialisten für Warzenflechten. Nach kurzer Zeit bekommen wir eine wunderbare Nachricht: Bei der Verrucaria-Art aus dem Hunsrück handelt es sich um eine neue Art!
Gemeinsam mit Holger Thüs bereiten wir die Erstbeschreibung der Flechtenart vor. Wir beschließen, sie nach dem Fundort im Nationalpark Hunsrück-Hochwald zu benennen, also Verrucaria hunsrueckensis. Das Manuskript wird bei einem wissenschaftlichen Journal eingereicht – und angenommen. Zur Vorstellung der neuen Art lädt die damalige Umweltministerin Ulrike Höfken persönlich in das Nationalparktor am Erbeskopf ein. Zahlreiche regionale und überregionale Zeitungen berichten darüber, und sogar im Radio und im Fernsehen wird „von der Weltneuheit aus dem Nationalpark“ gesprochen.“
Verrucaria hunsrueckensis – die Hunsrück-Warzenflechte – ist weltweit bisher nur von einem Waldstück im Nationalpark Hunsrück-Hochwald bekannt. Sie wächst auf Gesteinsschutt am Waldboden und besitzt einen fast schwarzen, krustenförmigen Thallus sowie besonders schlanke Ascosporen. Durch den doppelten Schutzstatus des Gebietes als Naturwaldreservat und Nationalpark ist die extrem seltene Art wahrscheinlich nicht im Bestand gefährdet. In der neuen Roten Liste der Flechten Deutschlands wird sie in die Kategorie „R“ eingestuft werden.
Ein Beitrag von Dr. Dorothee Killmann
Die Biologin ist Flechtenspezialistin und wirkt an der Erstellung der Roten Liste der Flechten auf Bundesebene mit. Weitere Informationen unter www.uni-koblenz.de und auf dem Instagram Account dorothee_killmann.
Die neu entdeckte Hunsrück-Warzenflechte ist weltweit bisher nur von einem Waldstück im Nationalpark Hunsrück-Hochwald bekannt.
Foto: Dr. Dorothee Killmann
Thüs, H., Killmann, D., Leh, B. & Fischer, E. (2018): Verrucaria hunsrueckensis (Verrucariaceae, lichenized Ascomycota), a new rare species with exceptionally slender ascospores from Germany. Phytotaxa 345 (1), 26-34.
(Artikel veröffentlicht am 3.11.2025)