Der seltene Sand-Ohrwurm ist kein böser „Ohrenkneifer“

Fast jeder hat sie schon mal gesehen: Ohrwürmer. Sie kommen nahezu überall vor und sind durch ihre markanten Zangen am Hinterleib kaum zu verwechseln. Viele Gerüchte ranken sich um diese kleinen Insekten. Und auch die Bezeichnung „Ohrwurm“ für eine einprägsame Melodie soll von diesen Tieren abgeleitet sein. Im Gegensatz zu dem sehr häufig vorkommenden Gemeinen Ohrwurm, den man oft im Park, auf Obstbäumen aber auch unter Blumentöpfen findet, ist der Sand-Ohrwurm nicht weit verbreitet. Der Sand-Ohrwurm ist unsere Art des Monats September.

Nichts als üble Nachrede

Ohrwürmer sind in Deutschland unter vielen verschiedenen Namen bekannt, darunter Ohrenkneifer, Ohrenheller oder Ohrenkriecher. Diese seltsamen Bezeichnungen gehen darauf zurück, dass die Tiere in der europäischen Volksmedizin von der Antike bis ins Mittelalter in pulverisierter Form zur Behandlung von Ohrkrankheiten und Taubheit eingesetzt wurden. Eine entsprechende Wirksamkeit ist jedoch genauso wenig belegt wie die Mär von den lästigen Ohrenkneifern, die uns in die Ohren kriechen und dort Unheil anrichten. Die Tiere sind für Menschen vollkommen harmlos. Ihre Zangen können zwar ein bisschen zwicken, sind aber zu schwach, um unsere Haut zu durchdringen.

Besondere Lebensräume

Sand-Ohrwürmer – hier ein Weibchen – sind in Deutschland bestandsgefährdet. Foto: Thomas Wesener

Sand-Ohrwürmer – hier ein Weibchen – sind in Deutschland bestandsgefährdet.
 

Foto: Thomas Wesener

Weltweit sind über 2.000 Ohrwurm-Arten bekannt, von denen nur acht in Deutschland als etabliert gelten. Zusätzlich wurden bei uns vereinzelt weitere unbeständige Arten nachgewiesen. Die meisten Ohrwurmarten sind wärmeliebend. Dazu gehört auch der Sand-Ohrwurm (Labidura riparia), der in der Mittelmeer-Region häufig, aber in wintermilden Regionen Mitteleuropas ebenfalls verbreitet ist. Der Sand-Ohrwurm bevorzugt, wie der Name andeutet, sandige Habitate, ursprünglich besonders an Flussufern und in Dünengebieten. In Deutschland ist er heute vor allem in Sekundärlebensräumen wie Truppenübungsplätzen und Braunkohle-Abbaugebieten in Ost- und Norddeutschland zu finden.

Eine Art mit vielen Verkleidungen

Sand-Ohrwürmer können relativ groß werden (fast 4 cm) und haben lange, kaum gekrümmte Zangen. Ihre Färbung ist so variabel, dass früher jede abweichende Form für eine eigene neue Art gehalten wurde. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden deshalb mehr als 35 unterschiedliche wissenschaftliche Namen, die doch nur zu ein und derselben Art gehören. Viele Tiere sind hellbraun bis weißlich, es gibt aber auch rotbraune und dunkle bis fast schwarze Exemplare. Allen gemeinsam sind Längsstreifen auf den Deckflügeln, die sie von anderen Ohrwurmarten unterscheiden. Ihre häutigen Hinterflügel tragen sie – eng gefaltet wie kleine Fallschirme – unter den kurzen Deckflügeln. Sand-Ohrwürmer können zwar prinzipiell fliegen, tun es aber wohl äußerst selten. Eine Flügelmuskulatur ist auch nicht bei allen Exemplaren ausgebildet. 

Die Bestandsentwicklung ist schwierig einzuschätzen

Der Sand-Ohrwurm wurde vor Kurzem in Hamburg, in den Boberger Dünen, wiederentdeckt. Er wurde dort zuletzt in der Mitte des 20. Jahrhunderts gesichtet.  Foto: Dr. Hannes Hoffmann

Der Sand-Ohrwurm wurde vor Kurzem in Hamburg, in den Boberger Dünen, wiederentdeckt. Er wurde dort zuletzt in der Mitte des 20. Jahrhunderts gesichtet. 

Foto: Dr. Hannes Hoffmann

In der aktuell gültigen Roten Liste der Ohrwürmer Deutschlands aus dem Jahr 2011 wird der Sand-Ohrwurm als „Stark gefährdet“ eingestuft. Eine Gefahr für die Art ist die Aufgabe des Braunkohleabbaus in Nord- und Ostdeutschland. Großflächige Renaturierungen in Bergbaufolgelandschaften sind zwar für viele Tier- und Pflanzenarten förderlich, nicht jedoch für den Sand-Ohrwurm, der als typische Pionierart von den Störungen und Umlagerungen des Bodens profitiert. In den letzten Jahren wird aber wieder eine Ausbreitung beobachtet. Er profitiert vermutlich von den mit dem Klimawandel einhergehenden steigenden Temperaturen. Die Wiederinbetriebnahme von Militärübungsplätzen kommt der Art ebenfalls zugute. Die Rote Liste der Ohrwürmer Deutschlands wird derzeit aktualisiert. 

Und was hat der Ohrwurm mit Musik zu tun?

Der Begriff „Ohrwurm“ für eine Melodie, die einem nicht mehr aus dem Kopf geht, soll sich von der Bezeichnung dieser Tiere herleiten. Wie es früher diesen Insekten nachgesagt wurde, „kriechen“ manche Melodien durch unsere Ohren in den Kopf und setzen sich dort fest. Vom Deutschen haben es diese Ohrwürmer sogar ins Englische geschafft: entsprechende Melodien werden als „earworms“ bezeichnet, wohingegen das Insekt im Englischen „earwig“ heißt. 

(Artikel veröffentlicht am 4.9.2025)

Rote Liste und weitere Informationen

Rote Liste der Ohrwürmer Deutschlands 

Matzke, D. & Köhler, G. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Ohrwürmer (Dermaptera) Deutschlands. – In: Binot-Hafke, M.; Balzer, S.; Becker, N.; Gruttke, H.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Strauch, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3): 629–642.

Die aktuellen Rote-Liste-Daten sind auch als Download verfügbar. 

Wie geht es den Ohrwürmern? Bestandssituation und Gesamtartenliste

Rote-Liste-Daten in Kürze: Steckbrief Sand-Ohrwurm 

Sand-Ohrwurm (Labidura riparia)

Rote-Liste-Kategorie: Stark gefährdet